Gefälschte (meist gekaufte) Rezensionen sind bei Amazon und anderen Online-Plattformen ein regelmäßiger Quell des Ärgers. Tatsächlich ist es nicht wirklich kompliziert, Bewertungen zu manipulieren. Von der netten Bitte an Freunde bis zur Nutzung bezahlter Dienste reicht das Spektrum. Amazon versucht seit Jahren, dagegenzusteuern: Anbieter von Bezahldiensten werden rechtlich verfolgt, Rezensenten müssen regelmäßig bei Amazon einkaufen (50 € im Quartal), und gegen unlautere Rezensionen bringt man Algorithmen in Stellung. Außerdem wird das Bewertungssystem weiterentwickelt – inzwischen gelten zum Beispiel auch in Deutschland Rezensionen nach verifizierten Käufen mehr als andere.
Dass bei Amazon Software am Werk ist, um die schlechten von den guten zu trennen, führt oft zu gewisser Verwunderung geführt – es ist aber ganz und gar nicht ungewöhnlich. Es ist geradezu Amazons Spezialität, Entscheidungen nicht Pi mal Daumen von Menschen, sondern von Programmen aufgrund vorhandener Daten treffen zu lassen. Da die Firma die konkreten Kriterien zur Unterscheidung legitimer und illegitimer Rezensionen nicht offen legt (sonst würden sie ganz schnell umgangen), sind auch eine Menge unzutreffender Ideen im Umlauf: Amazon könne etwa Facebook-Freundschaften offenlegen.
Tatsächlich muss sich Amazon schon aus Datenschutzgründen auf selbst erfasste Daten beschränken. Das reicht aber auch völlig, wenn man bedenkt, was Amazon so über seine Kunden weiß. Zur Erinnerung: Rezensionen sind nur möglich, wenn ein Nutzer schon einmal etwas bei Amazon gekauft hat. Die Firma kennt also unter anderem:
- E-Mail-Adresse
- Kontodaten (Bankverbindung, Kreditkarte)
- Postadresse und Adressen der Bekannten (an die schon mal etwas verschenkt wurde)
- IP-Nummern (die sich meist lokalisieren lassen, also auch Hinweise zur Herkunft des Nutzers geben)
- Browser, Gerät des Nutzers
- Typisches Verhalten des Nutzers (Rezensionsverhalten, Kaufinteressen)
- Typisches Verhalten anderer Nutzer (zum Vergleich)
Das ist eine ganze Menge. Der Amazon-Algorithmus versucht nun auf zwei Wegen, faule Rezensionseier herauszufiltern:
- Er sucht Verbindungen zwischen Buchautor und Rezensent. Beispiele: Autor und Rezensent teilen Kontodaten? Dann handelt es sich vielleicht um einen “Zweitaccount”. Autor und Rezensent rezensieren sich gegenseitig? Dann könnte es sich um Gefälligkeitsbewertungen handeln. Der Rezensent kommt aus einem ganz anderen Land als der Autor? Vielleicht ein Bezahl-Service…
- Er sucht nach ungewöhnlichem Verhalten der Rezensenten. Beispiele: Ein normaler Leser rezensiert x Bücher pro Monat. Der Rezensent die 10-fache Menge – und immer mit 5 Sternen. Könnte es sich um einen bezahlten Dienstleister handeln? Der Rezensent hat nur ein einziges Mal etwas gekauft, rezensiert aber am laufenden Band. Ein Fake?
Diese Art von Algorithmen baut in der Regel einen Score auf, wie man ihn von Kreditprüfern kennt. Ein einzelnes Merkmal reicht meist noch nicht, eine Rezension als manipuliert abzustempeln. Aber wenn eine bestimmte Summe von Merkmalen erreicht ist, kippt der Schalter um und die Rezension wird gar nicht erst veröffentlicht oder später gelöscht.
Dabei kann es natürlich vorkommen, dass der Algorithmus falsch entscheidet. Wenn jemand mit einer Strumpfmaske eine Bank betritt, muss es sich ja auch nicht zwingend um einen Bankräuber handeln – vielleicht hat der Kunde nur einen bestimmten Fetisch. Aber zumindest die Amazon-internen Daten haben dann gezeigt, dass man auf diese Weise deutlich mehr Nutzen erzielt (falsche Rezensionen löscht) als Schaden verursacht (Ärger der legitimen Rezensenten).
Das tröstet natürlich wenig, wenn man selbst Rezensionen eingebüßt hat, weil der Algorithmus zu streng war – und gleichzeitig KU-Betrüger mit zahlreichen von der Software für echt gehaltenen Rezensionen unterwegs sind. Der Rezensionsverlust trifft die meisten AutorInnen mal. Praxistipp: Falls Sie von solch einer Fehlentscheidung betroffen sind – es lohnt nach aller Erfahrung nicht, darüber mit Amazon zu diskutieren. Sie werden weder eine Begründung erhalten, warum Ihre Rezension gelöscht wurde, noch wird sie daraufhin doch noch freigeschaltet.