Michael Tamblyn ist Chief Content Officer bei Kobo. Er ist “verantwortlich für den Vertrieb, die Verlags- und Firmenbeziehungen, die Akquise von Inhalten sowie den eBook-Shop auf allen webbasierten und mobilen Services von Kobo”. Am Rande der Frankfurter Buchmesse beantwortete er uns im Gespräch einige Fragen.
Kobo scheint Probleme zu haben, auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen? Warum?
Unser Modell funktioniert in vielen europäischen Ländern und in der ganzen Welt sehr gut. Im deutschen Markt haben wir dafür noch nicht alle Bestandteile zusammen. Sobald uns das gelungen ist, werden wir auch denselben Erfolg erreichen wie anderswo. In der Zwischenzeit hatten wir sehr erfolgreiche Geräteverkäufe über Saturn, wir bauen eine großartige Bibliothek mit deutschen Inhalten auf und brachten eine überzeugende Publishing-Plattform auf den Markt. Damit haben wir in Deutschland schon sehr gute Kunden angelockt, die eine hohe Kauf- und Lese-Frequenz aufweisen.
Der fehlende Bestandteil wäre eine Buchhandelskette, die Ihre Geräte vertreibt?
Ja, das ist das Partnerschafts-Modell, das wir am liebsten nutzen, wenn wir in ein neues Land kommen. Bei FNAC in Frankreich, Mondadori in Italien oder La Central in Spanien ist uns das gelungen. So erreichen wir Kunden, für die das Buch in der Mitte des Alltags steht.
Die deutschen Buchhändler scharen sich derzeit aber wohl eher um den Tolino.
Wir werden sehen, was kommt. Es ist nicht einfach, als Buchhändler für längere Zeit eine Gerätestrategie zu fahren. Die Frage ist, ob das Tolino-Konsortium das schafft. Wir wissen, aus den vielen Ländern, in denen wir aktiv sind: Es ist eine echte Herausforderung, und es ist teuer, selbst in einem Markt, der so groß wie Deutschland ist.
Autoren berichten mir, dass sie zwar Kobo Writing Life unkompliziert finden – aber mit der Navigation in Kobos eBook-Laden nicht zurechtkommen. Sind Sie damit zufrieden?
Wir arbeiten ständig an einer Menge von Veränderungen, insbesondere, was das Suchen und Entdecken von Lesestoff betrifft. Es wird also von Tag zu Tag besser.
In welche Richtung geht Self Publishing derzeit? Welche Innovationen bereiten Sie vor?
Wir werden 2014 eine ganze Reihe von Neuerungen ankündigen können. Ich kann da leider noch nicht ins Detail gehen, aber ich denke, das wird Self Publishing auf ein ganz neues Niveau heben.
Kann Ihre weltweite Präsenz Autoren bei der Internationalisierung helfen?
Wir übersetzen eBooks nicht selbst. Aber wir haben in vielen Fällen gesehen, dass Autoren mit übersetzten Titeln in anderen Märkten erfolgreich waren und meist mehr als die Kosten der Übersetzung wieder einspielen konnten.
Sind dabei Märkte wie Frankreich oder Italien interessanter, weil sie noch nicht so überlaufen sind?
Oh, der englischsprachige Markt hat einen beinahe unstillbaren Hunger nach guten Geschichten und guten Büchern. Auch die Verlage hören ja nicht auf, Bücher in englischer Sprache zu publizieren. Was den englischsprachigen Markt auszeichnet, beginnt sich in Deutschland oder Frankreich gerade erst zu entwickeln: Dass dem Leser egal ist, ob ein Buch von einem Self Publisher oder Verlag kommt.
Was macht ein Buch denn erfolgreich?
Besonders beim Self Publishing geht es um die Fähigkeit eines Autors, eine Gemeinschaft interessierter Leser aufzubauen – oder sich in eine existierende Community einzuklinken. Die harte Wahrheit im Self Publishing ist: Das passiert nicht ohne Anstrengung. Der Autor muss seine Leserschaft aktiv aufbauen und pflegen. Aber wenn er dazu bereit ist, hat er unter den 15 Millionen Kobo-Lesern gute Chancen.
Ihr Wettbewerber versucht, Autoren mit Exklusiv-Verträgen zu binden. Wie locken Sie Autoren zu Kobo Writing Life?
Einer unserer Vorteile ist, dass unsere Kunden zu den Lesern aus Leidenschaft gehören. Auch andere eBook-Anbieter haben es geschafft, eine signifikante Zahl an ihnen treuen Kunden zu gewinnen. Wer nun als Autor einen Exklusiv-Vertrag abschließt, sagt all diesen Nutzern anderer Plattformen: Sorry, du bist mir egal. Oder: du bist mir nur etwas wert, wenn du die Plattform wechselst. Das ist eigentlich das letzte, was ein Autor tun sollte, der sich eine Leserbasis aufbauen will. Es ist eine Strategie, die die eigenen Wachstumschancen begrenzt. Autoren nutzen sie inzwischen jedoch deutlich weniger als in der Vergangenheit.
Vielleicht hinkt der deutsche Markt diesem Trend ja hinterher, aber etwa 30 Prozent der Amazon-Top-100 sind exklusiv dort erhältlich.
Das wird sich ändern. Andererseits: wenn Sie nur die Top 100 ansehen, ist es kein Wunder, dass so viele Exklusivtitel darunter sind. Amazon tut alles, damit diese Titel Erfolg haben. Wenn Sie sich den Gesamtumsatz aller Self Publisher ansehen, sieht das Bild vermutlich anders aus.
Wie aktiv nutzen Kobo-Kunden die Social-Reading-Fähigkeiten Ihrer Geräte? Das Thema ist in Deutschland gerade sehr aktuell…
Wir waren von Beginn an einer der Pioniere des Social Reading. Wir haben uns dabei darauf konzentriert, die sozialen Interaktionen rund um ein Buch, die es ja schon immer gab (ich möchte diese Inhalte oder Gedanken teilen, ich möchte mich mit anderen über diesen Absatz austauschen…), in unsere Geräte zu integrieren. Wir waren die ersten mit einer tiefen Facebook-Integration. Die überzeugendste Empfehlung für ein Buch ist immer die eines Freundes.
Wir haben aber auch erkannt, dass Social Reading nicht für jeden Leser und nicht für jedes Buch passt. Es gibt viele Leser, die Bücher lieben, für die Lesen eine sehr immersive und private Erfahrung ist. Das letzte, was diese Leser wollen, ist, sich mitten in der Handlung mit anderen darüber zu unterhalten. Wir müssen also sehr vorsichtig sein, wie wir diesen Prozess gestalten. Und, das werden auch andere feststellen, die jetzt mit diesem Thema beginnen: Es geht um manche Leser, manche Bücher und manche Momente – aber nicht alle Leser, alle Bücher zu jedem möglichen Zeitpunkt.
Hat sich das Verhältnis zwischen Autor und Leser durch Self Publishing verändert?
Potenziell ja. Es gibt Autoren, die sich liebend gern mit ihren Lesern austauschen. Und es gibt Leser, die gern mehr über ihre Autoren erfahren. Aber es gibt auch Autoren, denen diese Kommunikation egal ist. Und es gibt Leser, denen die Person des Autors unwichtig ist, weil sie sich vor allem für die Geschichte interessieren, die er zu erzählen hat.
Wir haben versucht, das mit unseren “Author Notes” umzusetzen, bei denen der Autor zu bestimmten Passagen erzählen kann, was ihm dazu einfällt, und mit den “Author Chats”, bei denen Leser direkt im Buch dem Autor Fragen stellen konnten. Wir werden weiter solche Experimente starten.
Sie verkaufen Tablets und eReader. Liest man auf Tablets anders?
Wir befassen uns fast obsessiv damit, mit Leuten darüber zu sprechen, was und warum sie lesen und was sie an einem Gerät als nächstes sehen wollen. Es war deshalb kein Zufall, dass wir ausgerechnet vor sechs, sieben Monaten, als alle Welt das Ende des eReaders verkündete, mit einem noch größeren und besseren eInk-Gerät herauskamen. Denn unsere besten Kunden, die ein bis zwei eBooks pro Woche verschlingen, hatten uns gesagt, dass sie für regelmäßiges Lesen eInk-Displays bevorzugen.
Gleichzeitig gibt es Inhalte, die auf eInk einfach nicht gut funktionieren: Kinderbücher, Comics, Zeitschriften. Für all diese haben wir versucht, ein Tablet zu konstruieren, das Lesen in den Vordergrund stellt. Die Person, die wir dabei im Blick haben, ist ein Vielleser, der die bestmögliche Leseeerfahrung mit farbigen Inhalten sucht – nicht unbedingt die, die dauernd ihre Mails checken und Apps installieren will.
Was halten Sie von DRM?
Wir haben Verlage, die uns ohne DRM keine ihrer Titel überlassen würden. Auch ein Teil der Self Publisher bevorzugt DRM. Unabhängig von unserer persönlichen Meinung ist es derzeit für uns einfach notwendig, DRM als Option anzubieten, wenn wir nicht auf einen großen Teil des eBook-Angebots verzichten wollen.
Vielen Dank.